Wege zur Entscheidungsfindung
Einleitung
Die Entscheidungsfindung ist ein grundlegendes Element des Erhaltungsprozesses: Sie beinhaltet sämtliche Voraussetzungen zur Bewältigung der Aufgabe, die Benennung der wichtigsten Beteiligten und die Entwicklung eines Leitbildes als langfristige, nicht auf das Tagesgeschäft bezogene Zielvorgabe.
Die Entscheidungsfindung umfasst vier grundsätzliche Bestandteile, wobei die ersten drei sowohl inhaltlich als auch zeitlich miteinander verzahnt sind und sich wechselseitig beeinflussen: Die Nachnutzungsüberlegungen bilden zusammen mit der Bestandsdokumentation und der Zustandsanalyse die Basis für das Erhaltungsziel. Dabei kann sowohl ein einzelnes Erhaltungsziel an einem Industriedenkmal realisiert werden oder gleich mehrere. Erst wenn die Erhaltungsziele definiert sind, können konkrete Erhaltungsmaßnahmen geplant und im Anschluss dann umgesetzt werden.
Schema: Die vier Bestandteile der Entscheidungsfindung
Wenn die Entscheidungsfindung in vier Bestandteile zerlegt wird, führt das zu einer für alle Beteiligten transparenten und nachvollziehbaren Struktur, weil dadurch die Einzelthemen allesamt überschaubar sind. Obwohl die vier Bestandteile inhaltlich klar voneinander abgrenzbar sind, müssen sie im Projektalltag häufig zeitlich parallel bearbeitet werden.
Zur weiteren Information: ein idealer Projektablauf ist in der DIN EN 16853:2017, „Erhaltung des kulturellen Erbes – Erhaltungsprozess – Entscheidungsprozesse, Planung und Umsetzung; Deutsche und Englische Fassung“, dargestellt.
Nachnutzungsüberlegungen
Nachnutzungsüberlegungen finden dann statt, wenn die ursprüngliche Nutzung beendet ist. Häufig liegt zwischen dem Beginn dieser Phase und dem Ende der ursprünglichen Nutzung ein Zeitraum von mehreren Jahren. Die Zerstörung von Einzelteilen durch Vandalismus oder mangelhafte Pflege sind typisch für diese Zwischenzeit.
Der Begriff Nachnutzung ist dabei weit gefasst: Er reicht von der vollkommenen Nutzungsänderung zur Wohn- oder Gewerbeimmobilie (Denkmalhülle mit verändertem Innenleben) bis zum „Denkmal seiner selbst“ (Konservierung des Ist-Zustandes), wie er vor allem bei Welterbestätten realisiert werden kann. Öffentliche oder private Nutzung oder die Mischung beider Formen können vorkommen.
Wenn noch keine konkrete Nachnutzungsentscheidung möglich ist, sind sogenannte neutrale Nachnutzungsüberlegungen sinnvoll: So führt zum Beispiel eine „nutzungsneutrale“ (so der Fachbegriff) Dach- und Fachsanierung bei Gebäuden dazu, die Substanz zu erhalten, um spätere Entscheidungen für eine weitergehende Nachnutzung offenzuhalten.
Die Nachnutzungsüberlegungen müssen die wesentlichen Aussagen enthalten zur künftigen
- Trägerschaft, Präsentation, Finanzierung;
- Sicherung der Substanz (bei Gebäuden: Bausubstanz) und des Inventars.
Weiterführend dazu in #Nachnutzungsüberlegungen
Bestandsdokumentation und Zustandsanalyse
Zeitgleich zu den ersten Nachnutzungsüberlegungen wird die Bestandsdokumentation eines Industriedenkmals samt Zustandsanalyse durchgeführt. Hierbei werden alle Informationen erfasst und dokumentiert, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt verfügbar sind. Die Dokumentation und Zustandsanalyse umfasst
- Beschreibung in Wort und mit Fotografien;
- Zusammenstellung von Ergebnissen von Archivrecherchen;
- Erstellung digitaler Planunterlagen mit Zustandskartierungen;
- Zusammenfassung der Ergebnisse.
Weiterführende Informationen hierzu im Artikel zur #Dokumentation der getroffenen Maßnahmen.
Erhaltungsziel(e)
Das Ergebnis der Nachnutzungsüberlegungen und Bestandsdokumentation mündet in die Formulierung eines Erhaltungsziels beziehungsweise mehrerer Erhaltungsziele. Dabei ist es nicht auszuschließen, dass innerhalb eines Industriedenkmals durchaus mehrere (Sub)ziele realisiert werden können. Durch die Erhaltungszielsetzung(en) wird das Industriedenkmal in seiner künftigen materiellen Erscheinung entscheidend geprägt.
Die Auswahl und Festlegung eines bestimmten Erhaltungszieles ergibt sich nicht automatisch aus der Geschichte oder dem aktuellen Zustand des Industriedenkmals. Prinzipiell lassen sich die Ziele zwischen zwei Polen festlegen:
- Konservierung des Stillstandes (Ruine) oder
- Reparatur, Renovierung, Sanierung.
In der Praxis beeinflussen Restriktionen durch das vorgegebene Budget häufig das Erhaltungsziel.
Weiterführend dazu in Zielbestimmungen.
Maßnahmenplanung und Umsetzung
Erst wenn die Ziele bestimmt wurden, können die konkreten Erhaltungsmaßnahmen geplant und umgesetzt werden. Diese Reihenfolge wird häufig in ihrer Bedeutung unterschätzt, weil die vorangegangenen drei Arbeitsschritte (Nachnutzungsüberlegung, Bestandsdokumentation, Erhaltungsziel) nur auf dem Papier existieren und in dieser frühen Phase noch unsichtbar sind.
Bei den Maßnahmen sollte das Einfache zuerst geplant und umgesetzt werden. Komplexere Maßnahmen folgen erst dann, wenn das Einfache nicht funktioniert. Daraus ergibt sich eine Maßnahmenhierarchie aus Vorbeugung, Konservierung, Restaurierung, Sanierung und Rekonstruktion.
Häufig ist der Mindest-Handlungsbedarf, also das, was auf jeden Fall umgesetzt werden muss, durch Vorbeugungsmaßnahmen und Konservierung zu erreichen.
Weiterführend dazu: Ausschreibungsverfahren und Zeitplan.
Fazit
Die Entscheidungsfindung wird für alle Beteiligten nachvollziehbar und transparent, wenn sie in vier Bestandteile zerlegt wird: Nachnutzungsüberlegung, Bestandsdokumentation mit Zustandsanalyse, Erhaltungsziel und Maßnahmenplanung mit Umsetzung.
Die drei zuerst genannten Bestandteile beeinflussen sich gegenseitig und bilden so einen Regelkreis, der in die Maßnahmenplanung mündet.
Schema: Entscheidungsfindung als Regelkreis