Relevante Regelwerke bei der Nutzung stillgelegter Industrieanlagen
Einleitung
Dieser Beitrag verweist auf Gesetze, Verordnungen und technische Regelwerke (Normen und Richtlinien), die im Rahmen der Nutzung einer stillgelegten Industrieanlage zwingend[1] anzuwenden sind bzw. von maßgeblichen Institutionen empfohlen werden. Zusätzlich werden weitere hilfreiche Instrumente vorgestellt.
Verbindliche Regelwerke des Bauwesens
Allgemeine gesetzliche Grundlagen im Bereich des Bauwesens stellen in Deutschland die bundesweit geltende Musterbauordnung(MBO) das Baugesetzbuch (BauGB) sowie die Landesbauordnungen der Bundesländer (Bauvorschriften und Technischen Baubestimmungen der Bundesländer) dar. Neben den gesetzlichen Grundlagen gibt es bestimmte Normen und Richtlinien [2]. Hier sind insbesondere die internationalen ISO- und die deutschen DIN-[3] und die VDE-Normen sowie die VDI-Richtlinien zu nennen, die in der Regel – aber nicht automatisch – den vielzitierten „allgemein anerkannten Stand der Technik“ darstellen.
Für die Stand- und Verkehrssicherheit gelten besondere Regelwerke, auf die in diesem Beitrag weiter eingegangen wird. Darüber hinaus gelten für Bau, Betrieb und Instandhaltung weitere spezifische Regelwerke, die sich auf das jeweilige Gewerk beziehen (wie z. B. Elektronik, technische Gebäudeausstattung usw.). Je nach genutztem Gewerk sind auch diese zwingend zu beachten.
Eine Vielzahl von Empfehlungen von Fachverbänden bietet hilfreiche Anregungen bei speziellen Fragestellungen. Ein solcher Fachverband ist etwa die Wissenschaftlich-Technische-Arbeitsgemeinschaft für Bauwerkserhaltung und Denkmalpflege (WTA).
Genehmigungspflicht bei der Nutzungsänderung
Sobald ein Bauwerk genutzt wird (über das reine Begehen durch Einzelpersonen oder von Ortskundigen begleitete kleine Gruppen hinaus), sind sämtliche Bauvorschriften und sonstigen Regelwerke relevant. Eine herausragende Rolle spielt dabei der Brandschutz (inkl. der Sicherstellung von Flucht- und Rettungswegen)[4]. Eine neue, gegenüber dem ursprünglichen Zweck der Industrieanlage veränderte Nutzung setzt eine entsprechende Genehmigung voraus (MBO § 59, Ausnahmen § 60 und 61), die aufgrund eines konkreten Antrags auf Nutzungsänderung erteilt wird. Dies gilt im Prinzip auch für temporäre Nutzungen wie z. B. Ausstellungen, Veranstaltungen oder Einrichtungen für den Besucherservice, und zwar auch dann, wenn keine wesentlichen baulichen Veränderungen am Bestand vorgenommen werden. Eine bloße Besichtigung des Bestandes durch Besucher stellt keine Nutzungsänderung dar.
Sonderfall Industriedenkmal
Die Regelwerke des Bauwesens beziehen sich in der Regel auf Gebäude[5] bzw. Bauwerke oder „bauliche Anlagen“[6]. Ein Industriedenkmal besteht aber im Normalfall nicht nur aus solchen Bauwerken, sondern auch aus einer Vielzahl anderer Anlagen, Maschinen, Rohrleitungsbrücken, Fördereinrichtungen und ähnlichen Strukturen – also Objekten, die in den oben angegebenen Regelwerken des Bauwesens zumeist keinen Niederschlag finden. Die zugrunde gelegten Industrienormen kennen jedoch keinen Besucherbetrieb und langfristigen Stillstand. Die Sinnhaftigkeit der Anwendung dieser Regelwerke ist im Einzelfall zu prüfen, ggf. sind sie adäquat anzuwenden. Auf jeden Fall ist zu überlegen und zu dokumentieren, wie die eingangs dargelegten Schutzziele erreicht werden können.
Praxisbeispiel
Ein stillgelegter Kran könnte als bauliche Anlage aufgefasst werden, bei der lediglich die statischen Lasten wie bei einem Bauwerk zu berücksichtigen sind. Der am Seil hängende Kranhaken kann eine Gefahr darstellen, wenn das aufgetrommelte Seil nicht mehr regelmäßig geprüft werden kann, da der Motor stillgesetzt ist und somit irgendwann versagen könnte. Der Haken muss daher zusätzlich gegen Absturz gesichert werden. Diese – lediglich auf das Gewicht des Kranhakens auszulegende – Sicherung ist dann ihrerseits regelmäßig zu überprüfen.
Pflicht zur Überprüfung der Standsicherheit
„Jede bauliche Anlage muss im Ganzen und in ihren einzelnen Teilen für sich allein standsicher sein“ (
Aufgrund der Erfahrungen aus großen Schadensereignissen (z. B. dem viel zitierten Einsturz der Eislaufhalle in Bad Reichenhall) wurden von gesetzgebender Stelle mehrere Regelwerke erlassen, so etwa die Hinweise für die Überprüfung der Standsicherheit von baulichen Anlagen durch den Eigentümer / Verfügungsberechtigten[7](ergänzt durch die VDI-Richtlinie 6200) oder die Richtlinie für die Überwachung der Verkehrssicherheit von baulichen Anlagen des Bundes (RÜV)[8]. Sie dienen als weiterer Anhaltspunkt für die Einschätzung von Pflichtmaßnahmen zur Überprüfung der Standsicherheit[9].
Endnoten
[1] Während Gesetze und Verordnungen im jeweiligen Geltungsbereich zwingend einzuhalten sind, ist dies z. B. bei DIN-Normen oder VDI-Richtlinien nicht unbedingt der Fall. Entscheidend ist, ob es sich um „allgemein anerkannte Regeln der Technik“ handelt, was im Streitfall gerichtlich festzustellen ist. Man versteht darunter alle auf Erkenntnissen und Erfahrungen beruhenden geschriebenen und ungeschriebenen Regeln der Technik deren Befolgung beachtet werden muss und die in zugehörigen Fachkreisen bekannt sind. Den neuen europäischen EN-Normen wird jedoch zunehmend der Rang von Gesetzen zugebilligt.
Die anerkannten Regeln der Technik unterscheiden sich vom Stand der Technik dadurch, dass letzterer eine höhere Stufe der technischen Entwicklung darstellt, sich aber in der Praxis noch nicht langfristig bewährt haben muss. Für Bauleistungen wird aufgrund der Dauerhaftigkeit des Werkes sowie des Kenntnisstandes der Ausführenden in der Regel die Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik gefordert.
[2] Eine Übersicht bietet z.B.: https://www.ihk.de/wiesbaden/recht/rechtsberatung/produkte/din-ce-gs/ce-kennzeichen-1262782.
[3]Europäische EN-Normen werden in das deutsche Regelwerk übernommen und dann als DIN EN … bezeichnet.
[4] Mängel im Brandschutz können dazu führen, dass Besucher sich nicht frei im Industriedenkmal bewegen können, sondern nur in geführten Gruppen.
[5] Laut MBO §2 (2) sind Gebäude selbstständig benutzbare, überdeckte bauliche Anlagen, die von Menschen betreten werden können und geeignet oder bestimmt sind, dem Schutz von Menschen, Tieren oder Sachen zu dienen.
[6] „Bauliche Anlage“ ist in der MBO §2 (1) definiert.
[7] Siehe https://www.vpi-nrw.de/blog/2019/05/21/ueberpruefung-der-standsicherheit-baulicher-anlagen/.
[8] Siehe https://www.fib-bund.de/Inhalt/Richtlinien/.
[9] Zum Thema Änderung baulicher Anlagen s. a. Publikation der Fachkommission Bautechnik der Bauministerkonferenz (ARGEBAU): Hinweise und Beispiele zum Vorgehen beim Nachweis der Standsicherheit beim Bauen im Bestand (Stand 07.04.08).