Nachnutzungsüberlegungen

Teilnehmer am Workshop am 14.12.2010 zum Thema Nachnutzung/Zielbestimmung. Bildurheberrechte: Kornelius Götz
Einleitung
Überlegungen zur Nachnutzung eines Industriedenkmals finden statt, sobald die ursprüngliche Nutzung aufgehört hat. Häufig liegt zwischen dem Beginn dieser Phase und dem Ende der ursprünglichen Nutzung ein Zeitraum von mehreren Jahren: In dieser Zeit kommt es häufig zur Zerstörung von Einzelteilen des Industriedenkmals durch Vandalismus oder mangelnde Pflege.
Der Begriff Nachnutzung ist sehr weit gefasst: Er reicht zum Beispiel von der vollkommenen Nutzungsänderung eines Industriedenkmals zur Wohn- oder Gewerbeimmobilie (Denkmalhülle mit vollends verändertem Innenleben) bis zum „Denkmal seiner selbst“ (Konservierung des Ist-Zustandes). Es kann sowohl eine öffentliche als auch eine private Nutzung vorkommen, ebenso die Mischung beider Formen.
Dieser Beitrag basiert auf einem Workshop am 14.12.2010 zum Thema Nachnutzung/Zielbestimmung. Er wurde im Rahmen des Projektes „Aktionsplan für den nachhaltigen Umgang mit Industriedenkmälern“ am Deutschen Bergbau-Museum Bochum (DBM) organisiert. Weiterführend hierzu siehe Beitrag Adaptive Reuse.
Wie annähern?
Das Ziel der Nachnutzungsüberlegungen ist eine konkrete Entscheidung über die Nachnutzung. Sie sollte stets in Abstimmung zwischen den verschiedenen Interessengruppen getroffen werden (siehe auch Beitrag Vorausschauende Konsensherstellung mit den zukünftig Beteiligten. Aus der Nachnutzungsüberlegung folgt auch die Zieldefinition und daraus die Methodenfindung (siehe auch Beitrag Zielbestimmung). Die gemeinsamen Nachnutzungsüberlegungen sollten dabei wesentliche Aussagen treffen zur künftigen
- Trägerschaft, Präsentation und Finanzierung sowie zur
Sicherung der Bausubstanz und des Inventars. Grundsätzlich sind bei Denkmalen nur Nutzungen akzeptabel, die den Denkmalwert des Objektes als solches nicht oder möglichst wenig beeinträchtigen und seinen Erhalt auch längerfristig unterstützen. In diesem Sinne müssen Nachnutzungen immer auf ihre kurz- und langfristigen Auswirkungen auf die materielle, aber auch immaterielle Substanz des Denkmals befragt werden. Im nordrhein-westfälischen Denkmalschutzgesetz wird dieses mit „sinnvoller Nutzung“ von Baudenkmalen auch nachdrücklich gefordert.
Zwischennutzung im Dienste der Nachnutzung
Unter Zwischennutzung wird der befristete Gebrauch von Räumen und Freiflächen in der Zwischenzeit von Aufgabe einer früheren und Realisierung einer zukünftigen Nachnutzung verstanden. Bewusste Zwischennutzungen bieten erhebliche Vorteile und Chancen: Sie entkrampfen festgefahrene Sichtweisen, verhindern Vandalismus und Zerstörung. Sie generieren Mittel und sorgen für Bewachung und Bauunterhalt und vermindern so den Handlungsdruck, der durch ungedeckte Kosten und politischen Druck entsteht. Auf lokalplanerischer Ebene verhindern („die richtigen“) Zwischennutzungen nicht nur Verslumung durch Vandalismus und Vernachlässigung, sondern können wesentlich zu einer Belebung und Neuorientierung von Flächen und Stadtteilen beitragen. Insbesondere die häufig großzügigen Flächen von Fabriken bieten große Ressourcen für eine Zwischennutzung.
Folgende Faktoren begünstigen den positiven Verlauf einer Zwischennutzung:
- rasches Handeln nach Ende der eigentlichen Nutzung;
- frühzeitige Einbindung aller Beteiligten (Eigentümer/Entwickler/Investoren – Kommunen – Nutzer);
- Familienbetriebe fühlen sich ihrem (ehemaligen Firmen-) Standort eher verpflichtet und sind bessere Entwickler als anonyme Eigentümer;
- Berücksichtigung lokaler Bedürfnisse;
- Einsetzen von Projektplanungsgruppe;
- Erhaltenswertes erhalten (Bauten & Nutzungen) – erneuern wo Potenzial fehlt.
Siehe dazu auch das Schweizer Portal www.zwischennutzung.ch, dort findet sich ein hilfreicher Leitfaden zur Zwischennutzung zum Download.
„Neutrale“ Nachnutzungsüberlegungen?
Vor einer Zwischennutzung oder wenn noch keine konkrete Nachnutzungsentscheidung möglich ist, werden manchmal sogenannte „neutrale“ Nachnutzungsüberlegungen angestellt. Bei Gebäuden werden beispielsweise nur die unbedingt notwendigen Erhaltungsmaßnahmen geplant, zum Beispiel eine denkmalgerechte Dach- und Fachsanierung.
Die neutralen Maßnahmen bergen aber umfangreiches Konfliktpotenzial. So kann es z. B. zu Konflikten kommen, wenn die Möglichkeit erhalten bleiben soll, das Industriedenkmal später an Investoren zu verkaufen. Während die Anlagenteile im Innenraum des Industriedenkmals (also Rohre, Schaltkästen, Elektroleitungen etc.) nur wenig Platz lassen, kann es sein, dass die Investoren diesen Innenraum möglichst auf ganzer Fläche vermieten wollen. Hier braucht es eine gute Kommunikation. Die Entscheidungsfindung kann wesentlich erleichtert werden durch verschiedene Szenarien zur Flächenbelegung, Hier werden s sowohl die Extreme als auch mögliche Kompromisse durchgespielt, also
- die minimale Variante (alles bleibt innen wie vorgefunden),
- die maximale Variante (Leerräumen) oder
- die teilweise Erhaltung als Kompromiss.
Um den zwischen beiden Extremen liegenden Kompromiss (den teilweisen Erhalt) zu entwickeln, müssen Kriterien definiert werden. Ein Kriterium kann zum Beispiel sein, nur die raumprägende Kubaturen exemplarisch zu erhalten, nicht jedoch die kompletten Funktionsabläufe. Eine exemplarische Erhaltung bietet sich immer dann an, wenn einzelne Elemente mehrfach vorhanden sind, zum Beispiel in einem Pumpenraum acht Pumpen. Dann kann überlegt werden, ob davon eine bestimmte Anzahl aufgegeben werden soll, um deren Fläche für die Nachnutzung zu gewinnen. Die ursprüngliche Unversehrtheit des Ensembles ist damit zwar zerstört, der raumprägende Eindruck kann jedoch erhalten bleiben. Wenn allerdings von acht Pumpen nur noch eine übrigbleibt, handelt es sich weniger um einen originären Eindruck, als vielmehr ein als ein Zitat der ursprünglichen Funktion.
An diesem einfachen Beispiel wird deutlich, dass es sich immer anbietet, die Nachnutzungsentscheidung ganz am Anfang zu treffen, da die meisten Folgeentscheidungen von ihr abhängen. Auch ohne genaue Nachnutzungsvorstellungen müssen Kriterien für denkmalverträgliche Rahmenbedingungen festgelegt werden. Eine „neutrale Nutzung“ und die dadurch erhoffte Multifunktionalität eines Industriedenkmals lässt sich bei genauerer Betrachtung nicht realisieren.
Projektplanungsgruppe
Zu Beginn jeder Nachnutzungsüberlegungen ist es wichtig, Personen zu finden oder zu beauftragen, die eine vorausschauende Projektplanung etablieren: die Projektplanungsgruppe. Im Idealfall wird diese Person oder Gruppe zusammen mit den zukünftig Beteiligten tätig. Deren Zusammensetzung ist jedoch anfangs häufig noch offen, selten gelingt es, von Beginn an die Richtigen an einen Tisch zu bringen. Die Projektplanungsgruppe agiert als Moderation und definiert die Prozessziele anhand der konkreten Gegebenheiten vor Ort im Sinne einer „Planung des eigentlich Unkalkulierbaren“. Für diese konstitutive Phase kann ein relativ kurzer Zeitraum von nur zwei bis drei Wochen ausreichen. Nach dieser Zeit beginnt ein längerer interaktiver Lernprozess bei allen Beteiligten. Die Projektplanungsgruppe hat in dieser die Aufgabe, den Prozess schrittweise zu strukturieren. Dazu gehört ebenso die lückenlose Dokumentation. In der Regel stellen die Überlegungen zur Nachnutzung sowie alle damit verbundenen Prozesse alle Beteiligten vor neue Herausforderungen, in dem es oft weder Standartverfahren noch einschlägige Erfahrungen gibt. Darum ist es umso wichtiger, frühzeitig potenzielle Stolpersteine zu erkennen und zu benennen.
Falls es in diesem frühen Stadium bereits Auftraggeber (Projektträger) für die Projektplanungsgruppe gibt, sollten sie nach außen politisch als Ideengeber auftreten.
Leitsätze zur Nachnutzung
- Abriss als Nachnutzung mit anschließender Neubebauung hat sich im letzten Jahrzehnt als „höchstens zweitbeste Lösung“ durchgesetzt, weil inzwischen die Identitätsstiftung durch Industriedenkmale anerkannt ist; vieles heute Selbstverständliche ist vor nicht allzu langer Zeit undenkbar gewesen.
- Industriedenkmale sind wichtige Elemente und Alleinstellungsmerkmale bei der Umnutzung und Entwicklung von Altindustrieflächen und Baubeständen; sperrige und einprägsame „Leuchttürme“ machen das Unverwechselbare eines Standortes aus („Flächen mit Denkmalen laufen in der Vermarktung besser“).
- Wirtschaftliche, aber auch sozial- und kulturpolitische Chancen bieten die unspektakulären baulichen Ressourcen und Strukturen eines Industriedenkmals; Die vermeintlich unspektakulären Bauten eines Industriedenkmals bieten wirtschaftliche, aber auch sozial- und kulturpolitische Chancen.
- Isolierung von Einzeldenkmalen im Sinne einer Leuchtturm- oder einer Wahrzeichen-Funktion widerspricht nicht nur historischen Realitäten, sondern ist auch oft nicht lokal akzeptabel, weil außenbestimmt.
- „Abbruch oder Museum?“ ist keine gute Frage: es gibt eine viel weiter aufgefächerte Nutzungspalette, bei der „Museum“ nur eine Sonderform darstellt;
- Während der Nachnutzungsentscheidung bietet sich ein potenzialorientierter Ansatz an: sorgfältige Vorüberlegungen über die Chancen, aber auch die Probleme des Bestandes bilden die Grundlage für die Konzeptentwicklung der Nachnutzung. .
- Steuerung von Transformation: Die Projektplanungsgruppe sollte zur kontinuierlichen Begleitung der Projektträger möglichst frühzeitig etabliert werden;
- Richtige Beteiligte an einen Tisch bringen: das sind mutige, offene und flexible Menschen, die ohne bereits fixierte Meinung zur gemeinsamen Entwicklung fester Ziele bereit sind. Das Vertrauen untereinander spielt eine zentrale Rolle für das Gelingen des Vorhabens.
- Projektträgermodelle mit „permanentem Defizit“ bzw. zur „Einzelfallrettung“ von außen bieten keinen nachhaltigen Schutz und regelmäßige, zur Substanzerhaltung ausreichende Betreuung; sie führen beim Industriedenkmal zu unnötigem Substanzverlust. Besser ist daher: nachhaltige Entwicklung statt Restwertnutzung.
- Zwischennutzung mindert Gefahr vorschneller Entscheidungen, weil Handlungsdruck entschärft wird.